An Weihnachten
erkennen wir,
wie die Welt sein könnte,
wenn wir nur wollten

Monika Kühn - Görg

Die Zeit der Magie

Es gibt wohl keine andere Zeit des Jahres, in der wir uns fühlen, wie in den Wochen vor Weihnachten.
Kindheitserinnerungen vermischen sich mit Vorfreude, werden von Plätzchenduft gesättigt und Lichterstrahlen erhellt. Wir spazieren durch Christbaumwälder, deren Äste kitzelnd durch unsere Finger gleiten und ihr Harz herb und klebrig auf unserer Haut zurücklassen. Schnee landet in unseren Haaren, auf der Nasenspitze und knistert leise unter unseren Schuhen. Deckt die Strassen zu, legt sich dick auf Bäume und verschluckt die Geräusche. Lachend lassen wir uns in seine Weichheit fallen, breiten Arme und Beine aus und hinterlassen Dutzende Engel, als wären diese zusammen mit dem Schnee auf die Erde gerieselt.
Voller Wohligkeit und dick eingepackt, kuscheln wir uns in unseren Lieblingskorbstuhl. Unser Gesicht genussvoll in die milde Wintersonne und den Glühwein wärmend in unseren Händen haltend, schauen wir lächelnd über den Garten, der nun flockige Mützen und wuschelweiche Schals trägt. Über dem Gras breitet sich ein kristallfunkelnder Teppich aus, gemustert von den Spuren der darüber gehuschten Tiere.
Schachteln und Boxen werden hervorgeholt, geben all die kleinen und grossen Schätze preis, die wir seit Jahren sammeln und aufheben und mit denen weitere Erinnerungen verbunden sind. Erinnerungen, die den Schneemann aus Salzteig oder die Sterne aus Ton in Kostbarkeiten verwandeln, deren Wert unbezahlbar ist und den nur wir kennen.
Kerzenlicht erhellt die Räume, Kinderlachen sowieso und uns erfüllt eine freudige Erwartung. Ein Kribbeln und Sprudeln, das uns leicht und offener macht. Wir selbst werden milder, vielleicht auch toleranter, denn das Fest der Liebe ist nah und so integrieren wir diese Liebe in unseren Alltag, da wir uns dieser bewusster sind als an all den anderen Tagen des Jahres.

Aber:

Nicht die Liebe
zwischen
Weihnachten und Neujahr ist wichtig,
sondern jene
zwischen Neujahr und Weihnachten.

Unbekannt

Alle Jahre wieder

Die Realität sieht oft nicht ganz so besinnlich und vorweihnachtlich romantisch aus. Denn an Stelle von gemütlichen Spaziergängen durch den Tiefschnee mit anschliessendem Geniessen eines Punschs, einem heissen Kaffee oder liegen in der Wanne, häufen sich unsere Termine oder hetzen wir durch die Geschäfte, auf der Suche nach Geschenken, wenn wir denn schon wissen, was wir schenken wollen.
Zwischen Arbeit, Kindern, Haushalt, Hobbys und unseren sozialen Verpflichtungen hängen wir noch rasch rund um das Haus Lichterketten auf und verwandeln unsere Räume in ein Wintermärchenwunderland. Organisieren den Christbaum und das Essen für das Fest und teilen die Tage unter den Familien und Freunden auf. Schauen dabei, dass sich niemand übergangen fühlt oder denkt, dass er zu kurz kommt und vergessen dabei den wichtigsten Menschen miteinzubeziehen.

Uns selbst

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit

Du magst dich vielleicht fragen, wie ich dich mit Momenten des Fühlens und Nichtstuns beschenken kann. Vielleicht denkst du sogar, dass das gar nicht geht.
Doch, das geht, glaube mir.
Wie? Das verrate ich dir nun.

Letztes Jahr beschenkte ich mich selbst mit einem Adventskalender.  Einen, den ich weder kaufen konnte noch füllen musste. Ja nicht einmal Türchen gab es, die ich öffnen konnte und dennoch barg er die grössten, schönsten, wertvollsten und kostbarsten Geschenke in sich, die man sich nur vorstellen konnte. Als wäre er Ali Babas Zauberhöhle, überhäufte er mich täglich mit kleinen Sinnesräuschen, Glücksmomenten und mit berührendschönen Begegnungen.

Und immer stand ich einen Moment da, mir gewahr werdend: «Das ist er jetzt, mein zauberhafter Adventstürchenmoment.»

Von zwei meiner Adventstürchenmomenten möchte ich dir gerne erzählen.

Es war einer jener Tage, an denen dicke, weisse Schneeflocken vom Himmel fielen. Alles still und ruhig war und ich durch ein Wintermärchen rannte. Meine Joggingschuhe versanken im Tiefschnee und meine Jacke war übersät von winzigen, weissen Himmelssternen. Einer schöner als der andere und keiner gleich. Ich war glücklich, sehr sogar.
Als ich in den Wald hineinlief, raubte mir sein puderweisses Winterkleid den Atem. Alles glitzerte und schimmerte, war rein und unberührt und ich die Erste, welche durch diese Pracht lief und ihre Spuren im Schnee hinterliess. Dieser löste sich watteweich von den Ästen, Pfützenteiche wurden von Eisblumen überzogen und rote Blätter leuchteten intensiv unter ihren weissen Hauben hervor.
Ich verlor mich etwas, in dieser Wintermagie um mich herum, das gebe ich zu und ich unterschätzte das Rennen durch den Tiefschnee. Das jedoch nicht nur etwas, sondern ziemlich.  So kämpfte ich mich aus dem Märchenwald heraus, auf die Strasse zurück und den Hügel hinauf. Ein Mann schob den Schnee aus seiner Zufahrt, zwei Frauen plauderten über den Zaun hinweg und weiter vorne entdeckte ich den Pöstler auf seinem gelben Töff. Er hatte den Blinker gestellt und wollte von der Strasse abbiegen.
Ich dachte: «Oh nein, bitte nicht. Ich kann jetzt nicht anhalten.» Meine Erschöpfung muss mir wohl anzusehen gewesen sein, denn was tat dieser gute, liebe Mensch, der so kurz vor Weihnachten mit Sicherheit weit mehr erschöpft war als ich und der ganz bestimmt schon seit Stunden Feierabend gehabt hätte, aber dennoch durch Schnee und Kälte fuhr, damit all jene noch ihre Post und Pakete bekamen, auf die sie schon so sehnlichst warteten? Er hielt, lächelte mich an und wartete geduldig, bis ich an ihm vorbeigezockelt war.
Dieser wunderbare Pöstler, der mir, trotz Überarbeitung, dem Wunsch nach Feierabend und Wärme, den Vortritt liess, war eines jener kostbaren Geschenke, welche sich hinter den imaginären Türchen meines Adventskalenders verbargen.  Seine Freundlichkeit und sein uneigennütziges Verhalten berührten mich tief und so erkor ich genau diesen Moment dazu aus, der schönste meines Tages zu sein. Denn genau das war die Absicht, die hinter meinem Adventskalender stand. Ich suchte mir jeden Tag einen ganz besonderen Moment aus, um ihn zum schönsten des Tages zu küren.

Eine Woche später begegnete ich dem Pöstler zufällig wieder.  Als ich auf seiner Höhe war, verlangsamte ich mein Tempo und eine Weile spazierten wir nebeneinanderher, über den kristallgezuckerten Waldweg und unter schneeschweren Buchen und Tannen durch.
Es war mir ein Bedürfnis, mich bei ihm für sein Anhalten zu bedanken. Überrascht sah er mich an und in seiner zu Herzen gehenden Bescheidenheit, tat er ab, was er für mich so Grossartiges getan hatte. Sein Gesicht jedoch strahlte, wie ich selten ein Gesicht habe strahlen sehen und so öffnete er für mich zum zweiten Mal ein Adventstürchen, das mich mit seiner Wärme durch den Winterwald und bis nach Hause begleitete. Ja selbst jetzt, da ich diese Zeilen niederschreibe, wärmt es mich noch immer.

Dankä tuisig nu einisch, vo ganzem Härzä.

Wenn uns bewusst wird,
dass die Zeit,
die wir uns für einen anderen Menschen nehmen,
das Kostbarste ist,
was wir schenken können,
haben wir den Sinn von Weihnachten verstanden

Roswitha Huch

Stille Nacht, heilige Nacht

Jeden Tag
ein bisschen Liebe verschenken,
heisst jeden Tag
ein bisschen Weihnachten haben

 Monika Minder